Augenblicke

Abschied

Seltsames Gefühl der Einsamkeit.
Wo ich doch eigentlich jauchzen müsste.
So viel Verhasstes und doch Vertrautes, leere Menschen, und doch voll von dem, was ich nie erlangen werde.
Warum ist der Abschied so schwer? Ich weiß es nicht.
Das Gefühl, nicht alles ausgekostet zu haben, bohrt.
Zu wenig probiert, und doch zu viel bekommen.
Wohin führt der Wind, der mich fortträgt?
Unbekannte Ufer, neue Aussichten, und immer das treibende ich.
Wohin?
Der Weg zwischen heute und morgen, dem jetzt und hier, aber auch dem Unbekannten, was der nächste Tag, der nächste Abschnitt bringt, zu finden, ist sehr schwer.
Wie kann ich mir selbst treu bleiben, so, dass ich das weiterverfolge, was ich will?
Die Überlegungen ziehen mich immer tiefer in ihren Bann, aber die Windungen meines Lebens laufen weiter

Martin Mangold 04.07.1995 Schenkendorfstr. 1 Kassel

Zwischenzeit

Stunden rauschen vorbei.Der liebgewonnene Blick aus dem Fenster fängt schon an, zu verblassen. Was soll ich nun anfangen, noch nicht dort, nicht mehr hier? Düstere Gedanken und erwartungsvolles Hoffen. Wie geht es weiter? Die Unruhe will seit Monaten nicht weichen, sie frisst mich auf. Ist es Schuld, Angst vor Neuem, Trauer über Versäumtes oder einfach die Angst, wieder ins kalte Wasser zu springen? Der Blick muss immer nach vorne gerichtet sein, Trauer trägt nie! Die anderen Ufer rufen schon, hörst Du es nicht? Sie werden Dich schnell holen, sehr schnell. Geniesse den kostbaren Moment, der Dir noch gegeben ist, sauge es in Dich auf, und bewahre es für Dein Leben lang in Deinem Herzen. In kurzer Zeit wirst Du wehmutsvoll und glücklich an diese Zeit zurückdenken. Du wirst gerade wieder ein Stück erwachsener. Aber bewahre immer Deine Träume und gib sie niemals auf!

Martin Mangold 05.07.1995 Kassel

Kälte

Fahler Mond über nackten WändenGemütlicher Widerschein in Blau-Rot-Grün aus den FensternTv-Geflimmer ersetzt bestimmt das FeuerEinsamkeit ist doch gar kein ThemaUnd mit denen da drüben wollen wir sowieso nichts zu tun habenDie sind doch ganz andersWir fühlen uns sehr wohl in unserer HöhleNur manchmal zeichnet sich so ein seltsames Leeregefühl im Kopf abSind bestimmt die belastenden Strahlen der ElektroleitungenToll, dass wir in einer Zeit leben, wo jeder machen kann, was er/sie will!Oder?

Martin Mangold 30.10.1995 Geißbergstr. 13 Berlin

Selbstbetrug

Zeiten der Sehnsucht, Zeiten der Begierde
Ein rauschendes Fest des Lebens in allen Tonlagen Die Wertigkeit noch unbekannt
Absolute Energie für etwas, das einem noch leid tun wird?
Gebaut aus Selbstsucht mit einem Fundament von Moralismus
Gepflegt und erhalten im Glauben an bessere Tage
Aber ist das Leben nicht jetzt und hier?
Immer und überall?

Martin Mangold 30.10.1995 Berlin

Erste Schritte

Milchzähne ausgefallen
Die Kindheit schon lange abgeschüttelt
Doch jetzt lerne ich laufen, muss es lernen
Das Gleichgewicht nicht zu verlieren, ist das größte Problem, die Balance zwischen wollen und müssen, wollen und wirklich wollen
Und herauszufinden, ob man vorwärts, rückwärts, rechts oder links gehen will
Die falsche Richtung wird jedesmal damit bestraft, dass man furchtbar auf die Schnauze fällt
Und schnell wird jede Richtung zur falschen, verliert man völlig das Gleichgewicht
An Wegkreuzungen herauszufinden, wohin es eigentlich gehen soll, kann nur das Herz entscheiden, aber wer spricht schon die Sprache des Herzens
Und erst nach vielen Jahren kann man entscheiden, welche ersten Schritte die richtigen gewesen sind

Martin Mangold Neckargemünd 05.04.1996

Geborgenheit

Dich trifft keine Schuld
Habe mir selbst einen Mantel von Rechthaben aufgebaut, ihn aber vor einigen Tagen verloren
Kalter Wind, Gegenwind, der Frühling will nicht kommen
Verblendung bringt einen manchmal in ein ungesundes Klima
Doch mich zie ht es zur Sonne, zu Dir Ich werde sicher noch durch einige noch kältere Länder müssen, diesmal ohne Schutz, aber die Hoffnung gibt mir Kraft
Ich hätte den alten Mantel längst gegen diesen eintauschen sollen
Aber wer nicht friert, verspürt auch keinen Wunsch nach Veränderung
Ich bin froh darüber, vielleicht bald wieder die Sonne zu erschauen, ein Horizont voll von strahlendem, warmen Licht. Diese Hoffnung trägt mich weiter.

Martin Mangold Neckargemünd 05.04.1996

Der Zustand zwischen

Gestern noch lustig, wohlgemut, alles im Lot
Liebe, Erfolg, ständiges Fortkommen, schöne Momente
Heute Leere im Geist, neue Ordnungsmechanismen aufgetreten, die Hülle geblieben, jedoch der Inhalt?
Früher wirklich anderer Inhalt? Kein Täuschungs-manöver? Schon sehr lange Wunden zugekleister, die so einfach nicht zu heilen sind. Mit ihnen Leben unmöglich. Heilen tut weh und dauert lange. Warum nicht noch größere Wunden schlagen? Aber Kapitulation ist armselig.
Ich weiß, es ist eine große Chance, hab das Leid aber langsam satt. Dieser Zustand scheint eine Ewigkeit zu dauern.
Man finde den neuen Sinn! Ha Ha! Ist doch gleich geblieben. Zuneigung und Geborgenheit, Freude und Erfolg. Ja wirklich. Will mich aber nicht mehr mit irgendjemandem zufriedengeben, habe meine Maßstäbe im Laufe der Zeit immer höher geschraubt. Die ich will, wollen mich nicht, und die mich wollen, will ich nicht. Es scheint wirklich verhext zu sein, es muss so sein, sonst
lerne ich nicht. Habe aber so die Schnauze voll vom ewigen Lernen, zumindest, solange es so heiß ist. Sag mir, Leben, was ich falsch mache, und immer schon falsch gemacht habe. Das geht ja schon eine Ewigkeit so.
Die Kette muss unterbrochen werden. Neue Abläufe sind gesucht, ehrlichere.
Wie lange belügst Du dich eigentlich schon?
Seit zwanzig Jahren? Seit zwanzig Jahren.
Es ist eben nicht so einfach, aus Schwäche eine Tugend zu machen, und dann noch damit klarkommen. Zur Zeit ist nur nacktes Überleben gefragt, Zeit totschlagen, Wege möglichst schnell gehen, um über den Rand schauen zu können.
Befreiung findet statt, Vorurteile werden langsam abgebaut, Dunkelheit aufgebaut. Mein Leben ist eine Zweierwelt, ständig hin und her gerissen
zwischen Norden und Süden.
Gerade fängt es an, zu schneien

Martin Mangold 15.6.1996 Berlin

Zu spät

Ich habe etwas zugelassen, was nie wieder rückgängig zu machen ist. Ich habe mir gestattet, zu sehen. Ihr Bild schmerzt immer noch und immer wieder, aber es gibt kein zweites Mal. Wer den Baum wirklich sieht, sieht auch den Fuchs und die Warze auf der Nase.
Gibt es nun überhaupt noch eine Möglichkeit, etwas schön zu finden, wo doch immer Haare vorhanden sind.
Kann man so überhaupt noch lieben, sich einer Frau öffnen, ihr die Chance geben, aufzumachen.
Irgendetwas stimmt jetzt immer nicht. Entweder zu traurig, oder zu klein, oder zu unerwachsen oder ein anderer Aufhänger. Man kann es ja nicht mehr zulassen, einen Fehler zu machen. Man denkt, alles unter Kontrolle bringen zu können. Gute Freundinnen werde ich nun sicher zu Hauf finden, was früher nie klappen wollte. Aber die Angst, zu verletzen, ist mindesten genauso stark geblieben. Wer kann sich bewegen, wenn er nicht bereit ist, sich und andere zu verletzen?

Martin Mangold 19.6.1996 Berlin

Einbahnstrasse

Jeder Weg der falsche
Sogar der Sprung vom Balkon auf einmal keine Alternative mehr.
Der liebe Wein nur noch mäßig genießbar, weil immer die Angst, abhängig zu werden.
Aber ich war immer abhängig.
Ob Frauen, Erfolg oder Liebe.
Das Bild würde sich nur leicht verschieben.
Gedanken sind das Letzte, was man gebrauchen kann, sie fangen an, zu zerstören, alles auszuziehen und zu zerreißen.
Keine Ruhe mehr,
kein Selbstbetrug,
kaum Romantik.
Nur noch Realität
Wie wird das Ende aussehen?
Kommt es bald?

Martin Mangold 19.6.1996 Berlin Bornholmerstr. 77

Mit wachen Augen

Ich muss mich beeilen
Vielleicht bleibt mir nur noch wenig Zeit
Sagen, was ich sagen möchte
Vielleicht liest es ja jemand
Malen, was ich malen möchte
Vielleicht sieht es ja jemand
Vielleicht versteht es ja jemand
Hacke die Worte in den Rechner, damit
sie unauslöschbar werden
Damit wenigstens ein bisschen was bleibt
Ein kleiner Sinn.
Der große ist nur mit Lüge oder Idealismus zu finden
Ich kann beides kaum mehr
Reiße mir die Haare aus
Weine mir die Augen leer
Warte darauf, dass etwas passiert
Etwas Einschneidendes

Martin Mangold 19.6.1996 Berlin

Ich bin so müde

Ein Ende kommt
ich spüre es in jeder Faser
Muss ich wirklich schon sterben
oder stirbt nur ein Teil von mir?
Eine tiefe Angst grollt böse und unaufhaltsam, ich kann sie nicht mehr beruhigen
Warum bin ich so weit gekommen, was willst Du denn von mir? Laß mich doch einfach in Ruhe. Gehe deinen Weg, ich gehe meinen. Aber doch keine Chance mehr. Es kommt jetzt so, wie es kommen muss, ist nicht mehr aufzuhalten. Diese geistige Klarheit hat etwas furchtbares, so endgültiges, als ob ich mein Leben schon besiegelt hätte. Woran hänge ich eigentlich noch? Es wäre doch eine Art Erlösung. Das in der vergangenen Zeit Erlebte schmerzt nur noch. So wenig Sinn, wahre Freude, Glückseligkeit. Ist es immer so? Lebt jeder Mensch so? Wie leben andere Menschen überhaupt, können diese unerträglich leeren Momente ertragen? Ich bin müde und möchte nach Hause kommen, aber in ein Zuhause ohne wenns und abers, zulange gelitten.
Irgendwie habe ich die Dinge immer falsch betrachtet, jetzt versuche ich, zu sehen, und es wird noch schwieriger. Am liebsten würde ich einfach jedes Gefühl, Moralität, Konventionen und den ganzen Rest wegschmeißen. Meinen nimmer schlafenden Kopf gleich hinterher.
Ich habe keinerlei Vorstellung mehr davon, wie es weitergehen soll, alles ist zum Stillstand gekommen, und dreht sich jetzt im Kreis.
Mein letzter Anker, die Zuneigung anderer, ist auf einmal auch nicht mehr stark genug, um mir noch irgendeinen Halt zu geben.
Ich bin so leer, als ob mich jemand all dessen beraubt hätte, was in mir war.
Und ausgerechnet jetzt muss ich auch noch anderen wehtun, komme nicht mehr umhin, meine Wunde damit auch noch von Minute zu Minute zu vergrößern.
Ich bin eigentlich schon tot, brauche gar nicht mehr darauf zu warten

Martin Mangold 22.6.1996 Berlin

Neuanfang

Es zählt nur noch das Anwesende
Ich werde frei
lasse alte Häute fallen
und suche neue Ufer
Wie oft in Vergangenem gegraben, aber das ist nun vorbei, es gibt kein zurück.
Das Morgen kommt, ich muss es nur noch hereinlassen, vertrauen darauf, dass es mir genauso viele schlechte Momente bringt, wie das Gestern
Aber das kann nur ein Gewinn sein, denn es sind neue!
Sie schmerzen nur manchmal so furchtbar.
Ich werde mich morgen nicht mehr daran stören, denn dann weiß ich, was mich bewegt.
Es wird eine Weiterführung dessen sein, was ich seit Jahren praktiziere.
Aber vielleicht mit neuen Vorzeichen
Bestimmt mit neuen

Martin Mangold 23.6.1996 Berlin

Wege

Mein Leben
Dein Leben
Nur ein ganz kleiner Überschneidungspunkt,
sonst zwei separate Personen
Separate Vergangenheit und Zukunft
Vielleicht ein wenig gemeinsame Gegenwart
Hoffentlich so viel wenig wie möglich
Vielleicht ein wenig gemeinsame Zukunft
Man kann sich noch so nahe kommen und ist doch immer allein
Nur das Bild des anderen ist immer gegenwärtig, von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Ist nicht das ganze Leben ein Bild des eigenen Geistes?
Will man sich nicht immer an beständigen Dingen festhalten, die aber so unbeständig sind wie das Wesen des Geistes?
Was sich zeitweilig jedoch mit Macht über den Geist erhebt, ist das Gefühl.
Und so ist es gut

Martin Mangold 26.6.1996 Berlin

Dunkelheit?

Bilder dröhnen im Kopf
Wege sind schwer zu finden
Zweifel, Gedanken und Ängste zermartern den Geist
Kaum ein Ausweg?
Tage vergehen
Intensitäten nehmen zu
Was nun eigentlich?
Keine Antwort
Auf einmal eine Kleinigkeit
Vielleicht eine Begebenheit, ein Gefühl, ein neuer Gedanke
Jetzt wird es Tag
Ganz plötzlich
Neuer Wind bläst die düsteren Wolken davon
Was man für unmöglich gehalten, ausweglos gesehen, man verloren geglaubt, ist auf eine neue Art
gegenwärtig
Es geht weiter

Martin Mangold 29.6.1996 Berlin

Du bist der Fehler

Warum habe ich nur nie geglaubt, dass ich geliebt werde, glaube es immer noch nicht?
Warum musste ich das, was ich hatte, immer zerstören? Jetzt würde ich wieder genau das gleiche tun, nach kurzer Zeit irgendetwas anfangen
Ich muss mich von geliebten Frauen fernhalten, um Ihnen nicht dauernd wehzutun
Mich am besten von allem fernhalten
So wie schon einmal
Ich werde wohl alleine bleiben müssen
Warum bin ich nur nie treu gewesen?
Es handelt sich um irgendeine emotionale Fehlschaltung in meinem Hirn, die mir das am meisten geliebte entrissen hat und wieder entreißen würde
Ich wäre sicher sehr glücklich geworden
Und jetzt fange ich wieder genau da an, wo ich auch schon früher angefangen habe, rolle wieder eine gleiche Geschichte auf
Was habe ich bloß verbrochen, dass ich diese Last erhalten habe, dieses hinterhältige Unterbewusstsein
Eine völlige Divergenz zwischen Geist und Gefühl,
Sein und Unterbewusstsein
Ich selbst bin der Fehler in allem gewesen, habe selbst immer das am meisten Ersehnte zerstört, und konnte mich noch nicht einmal dagegen wehren
Das ist so gemein, so unfähig und unnütz vor sich zu stehen, und mit ansehen zu müssen, wie man immer wieder Dinge tut, die das Ich eigentlich gar nicht will
Gezwungen wird, etwas zu tun, was einen danach nur noch tiefer fallen lässt
Aber irgendwo in dir, Martin, ist dieses etwas, was Dir keine Ruhe lassen wird, wahrscheinlich, solange Du lebst
Du musst Dich wahrscheinlich damit abfinden, dass Du auch in Zukunft die am meisten Geliebte betrügen und verlieren wirst
Ich verfluche meinen Körper, mein Aussehen, meinen Geist, mich selbst
Funktioniere wie eine Maschine, soweit es sich um rational fassbare Dinge handelt
Auch das verfluche ich

Martin Mangold 3.7.1996 Berlin

Danach

Wochen an einer Sache gearbeitet, die mich begeistert hat, alles investiert
Nun fertig, und das Gefühl schleicht sich ein, dass ich etwas vergessen habe
Immer noch nicht zufrieden, obwohl ich stolz auf mich sein kann, es auch bin
Ich bin nach wie vor auf der Suche, nur nach was?
Eine Beziehung kann es nicht sein, denn ich bin im Moment mit dem, was ich habe, sehr glücklich
Irgendwie ist es immer noch die alte Suche nach dem Sinn für mich, mein Leben
Weil nur arbeiten kann es nicht sein, aber nur lieben kann es auch nicht sein, nur tagträumen auch nicht
Jetzt so rastlos, möchte eine Situation provozieren, damit sich etwas verändert; so habe ich das früher auch immer gemacht, bringt aber auch nichts; möchte, dass die Zeit schneller läuft, damit sich wieder etwas verändert
Diese Situationen sind mir bei meiner Liebe oft in die Quere gekommen, sie provozieren Umbrüche, die auch in mir selbst brechen

Martin Mangold 10.7.1996 Berlin

Der Stein der Weisen

Jetzt habe ich gefunden, wonach ich mein Leben lang gesucht habe
Ich habe dem Tode schon mehrfach zu Angesicht gestanden, er ist jetzt ein Bekannter, die Angst gewichen. Und ich habe mich entschieden, zu leben. Für mich, mit mir, festgestellt, dass schmerzliche Erfahrungen süßer sein können als das schönste Glück. Das ist der Sinn des Lebens und das ist Freiheit.
Jetzt bin ich endlich frei und nichts kann mir mehr etwas anhaben, nichts!
Ich mein eigener König, bereit, alles zu erleben und nichts mehr auszulassen, der Sicherheit willen, die gar keine ist. Die Sicherheit ist nun in mir.
So erregt von dem Gedanken und den strahlenden Tagen, dass mich die Nachtruhe wenig anzieht
Mir noch nie über den Gedanken klar gewesen, dass ich machen kann, was ich will, doch jetzt sehe ich und habe verstanden. Endlich lebe ich

Martin Mangold 19.7.1996 Berlin

Den Spielregeln unterworfen

Am 13.1.1971 wurde ich geboren, als freier Mensch
Aber dies kann nur von kurzer Dauer gewesen sein
So schnell wurde ich das Kind meiner Eltern, meiner Familie, der Gesellschaft; die Tatkraft, alles richtig zu machen, war jederzeit vorhanden.
Aber für wen richtig?
Dann kamen die Beziehungen. Auch dafür alles richtig. Aber wo bin ich denn die ganze Zeit geblieben?
Seit drei Monaten lebe ich, seit dem 18.6.1996. Was das vorher war, weiß ich nicht
Muss man das Ende vor Augen haben, um die Augen auch aufzumachen? Ich glaube, es ist schon vielen Menschen so ergangen
Oh, wie blind bin ich gewesen! Wie blind ist doch die Menschheit. Mit moralverbundenen Augen tappt man durch das Licht des Tages, und sieht nicht, darf nicht sehen. Diese Technik kannte schon das frühe Christentum, und sie wurde im Laufe der Jahrhunderte perfide verfeinert
1. Gebot: Gehe allem, was wehtun oder Schwierigkeiten
bereiten könnte, so weit wie möglich aus dem Weg. So schützt Du Dich vor neuen Erfahrungen, Herzensfreude und der Teilnahme am Leben.
2. Gebot: Verneine Deine Sexualität. Dies wird Dir ein durchschnittliches Leben mit häufigen Bordell-besuchen bescheren, wobei die Fassade jedoch immer gewahrt und gesellschaftliche Anerkennung gesichert bleibt
3. Gebot: Zeige niemals Gefühle. Denn Du willst ja nicht, dass Dir selbst bewusst wird, wie schwach Du eigentlich bist
4. Gebot: In Arbeit
5. Gebot: Bitte selbst: Bitte selbst eintragen
6. Gebot: Bitte selbst eintragen
7. Gebot: Bitte selbst eintragen
8. Gebot: Bitte selbst eintragen
9. Gebot: Bitte selbst eintragen
10. Gebot: Bitte selbst eintragen
Dass der Menschheit nie klar geworden ist, dass es sich hierbei um eine philosophische Abhandlung handelt
Wie blind seid Ihr gewesen!
Amen

Martin Mangold 9.9.1996 Berlin

Kampf

Du denkst, Du hast die Liebe gefunden, die ewig währt, in Form einer Frau, Freundin, Geliebten
Du denkst, dass Sie der Grund ist, warum Du so furchtbar leidest, die Ungewissheit Dich auffrisst.
Du verfluchst Sie in düsteren Stunden, dass Du Dich für Sie so einschränkst
Mangold, sei ehrlich. Du schränkst Dich für Dich ein, weil Du weißt, dass manche Situationen für Dich Tod bedeuten, ganz ernst. Du hast es schon oft genug erfahren. Wieso war der Tod eigentlich immer schon mein Begleiter, hat mich als treuen Gefährten auserkoren? Aber mich dann trotzdem immer wieder gerade davon kommen lassen?
Mangold, jetzt ist es eigentlich an der Zeit, keine Angst mehr zu haben. Du kennst ihn nun so gut, und das Leid auch, das sind schon fast Freunde.
Verbünde Dich mit Ihnen, sei Dir bewusst, dass sie immer neben Dir stehen, und kŠämpfe weiter
Um die Liebe

Martin Mangold 6.10.1996 Berlin

Stille Einsamkeit

Gefasst in eigenen Strukturen
Fast verzweifelt daran
Einen neuen Weg vor Augen
Funktionstüchtigkeit noch unbekannt
Dich gesehen
Erfahren
Kennengelernt und lieben gelernt
Laufe meinen Weg weiter
Vorsichtig
Langsam und bedächtig
Warten
Auf Deine Welt und Dich

Bitte, öffne mir die Tür
Lass mich in Deine Welt

Hilf doch ein bisschen mit, dass es unsere Welt wird

Martin Mangold 14.10.1996 Berlin

Zeit

Eine Sekunde nach der anderen, Minute für Minute, Stundenlang
Tage und Jahre lang Gedanken darüber, was ich mit mir und dem mir Gegebenen anfange
Aktivität spielt sich in Kurzzeit ab, dazwischen Durchhängen oder Ausruhen, wie man es nennen will
Das Spiel ist begrenzt, und ich fange langsam an, zu verstehen, dass es nicht unbedingt hundert Prozent sein müssen
Ich wäre ja schon mit sechzig zufrieden
Das Tropfen der Minuten zu spüren, das macht mich wild. Einerseits weigere ich mich, zu akzeptieren, dass es vielleicht schneller vorbei ist, als mir lieb sein könnte, andererseits will ich eine hohe Summe an besonderen Momenten sammeln
Ich warte immer noch zu viel. So muss ich doch noch mehr handeln, mir und meinem Leben die Richtung geben, welche ich erwählt habe; Denn, ein bisschen genießen möchte ich sie ja auch noch; Morgen.

Martin Mangold 15.10.1996 Berlin

Die letzten Monate

Ich habe gelebt, einfach so, wie ein normaler Mensch das eben tut.
Zumindest versucht, einmal wie ein normaler Mensch zu leben. Umgetrieben durch die Liebe zu Dir, Andrea, und die mangelnde Liebe zu mir.
Die Totenmasken der Angst all um mich her. Jede Ablenkung durch mein Schicksal verboten.
Die Schreie nach Hilfe und Zuneigung verebben in der Leere meines Geistes
Alleine, mit mir, der Person, mit der ich immer am wenigsten anfangen konnte
Die Zukunft flößt mir Angst ein, der Glaube an ernsthafte Besserung wird wächsern

Mein Leben jagt mich, nicht ich nach meinem Leben
Ernüchterung kommt durch Wissen, und ich habe schon sehr viel gelernt.
Wo ist meine geliebte, kleine heile Welt nur geblieben?

Martin Mangold 27.10.1996 Berlin

Wellen

Manchmal ein sanftes Rauschen, dann wieder mit donnerndem Getöse
Mein Leben eine Woge aus Abschieden, großen und kleinen, jeden Tag aufs Neue
Nichts in meinem Kopf verblieben, was wahrhaft einen Anker bedeutet. Kleine Glückseligkeiten retten vor dem Ertrinken, aber ich gehe dennoch mit der Zeit langsam unter
Ein seltsamer Mensch muss ich sein, der aus soviel Reichtum nur Armut schöpfen kann
Die Angst ist mir langsam gewichen, und hat den Deich gebrochen für unendliche Trauer, ein Leiden, das niemand heilen kann, und mit dem ich auch keinen Menschen mehr behelligen möchte
Der Gedanke daran, dass einmal ein Tag kommen wird, an dem die letzte Welle über mir bricht, erfüllt mich mit Erleichterung und Glückseligkeit. Dann gehe ich endlich dahin zurück, wo ich herkomme. Nach Hause

Martin Mangold 29.10.1996 Berlin

Untreue

Ein Moment der Sorglosigkeit, vielleicht ein gewolltes Vergessen, eine Gegenreaktion auf das nicht Vorhandene.
Ich von der schwachen Position in die potente gerückt. Mit einem Schlag selbstsicher, menschen-verachtend. Nicht Dich habe ich betrogen, sondern mich. Ein in Monaten und langen Nächten aufgebautes Gedankenkonstrukt in 30 Minuten zerstört, ad absurdum geführt.
Was ich liebte, wird zur Bedrohung. Die Reaktion ist Stolz, Abwehr, und Trotz.
Und ein für die Realität geöffneter Blick.
Was vorgestern noch in warmen Träumereien erstanden ist, erscheint jetzt in Neonbeleuchtung.
Kann ich denn auch gerade einem geliebten Menschen so jemanden wie meine Wenigkeit zumuten? Darf ich die relativ intakte Welt eines anderen Individuums mit meinen ernüchternden Denkweisen und brutalen Machenschaften stören? Ein kleines Kind ist verletzt worden, oder hat Angst vor der Realität bekommen, die vielleicht teilweise nicht so strahlend oder doch zumindest anders war, als erträumt. Es hat Schutz im Bekannten, Warmen, Weichen gesucht, und steht jetzt wieder völlig verlassen da.
Viel verlassener als vorher.
Die Einschätzung Abschätzung, die Arroganz ein stolzer Mantel vor wirklich kalten Tagen. Doch jetzt kommen sie erst recht.
Mein größter Wunsch, dies ungeschehen zu machen.
Doch es ist zu spät
Jetzt hilft nicht einmal mehr Angst haben. Ein neuer Stein ins Rollen gebracht, und er bricht sich unerbittlich seine Bahn. Die Windungen nicht mehr durch meinen Geist beeinflussbar, sondern autonom vorprogrammiert.
Warum habe ich mir das angetan?
Warum musste ich mich aufs Neue so furchtbar verletzen, wollte ich mich strafen? Wollte ich mir selbst einen Riegel vor meine Liebe schieben, um von neuen Enttäuschungen verschont zu bleiben?
Meine persönliche Enttäuschung wird mich jetzt nicht mehr verschonen

Martin Mangold 17.11.1996 Berlin

Die Windungen des Ich

Die vergangenen Tage die schmerzlichsten meines bisherigen Daseins, nach jedem Erwachen aus den Tiefen der Angst ein neues Leben.
In 3-monatlichen Zyklen nimmt die Selbstberichtigung ihren Lauf. Werde ich beim nächsten Zyklus sterben, oder habe ich nun einen Zenith überschritten? Die vergangene Zeit ist nicht so spurlos an mir vorübergegangen, dass ich nichts gelernt hätte, aber kann ich mich besser schützen?
Ich habe gelernt, die Angst vor der Angst zu überwinden, mit einem enormen Kraftresultat, aber wie lange werde ich das beherzigen?
Nimmt der Automatismus wieder seinen Lauf, bis ich nicht mehr wachsam bin, und erneut stürze?
Solange ich lebe und leben will, tue ich das mit aller Kraft. Sobald es mich niederstreckt, auch.
Es ist ein Punkt gekommen, wo es gilt, eine neue Ebene zu betreten. Wenn diese Hürde genommen ist, wird ein Stück Freiheit zurückkehren.

Martin Mangold 12.12.1996 Berlin

Geschwindigkeit

Das Leben ist wirklich keine Gerade, sondern ein gewundener Weg. Denken nur bis zur nächsten Kreuzung möglich. Geliebte Andrea, deshalb muß ich jetzt Abstand von Dir nehmen. Ein Abschied wäre zu früh, denn ich kenne noch nicht einmal die nächste Kreuzung, aber ich fliege zur Zeit beinah aus der Kurve.
Es geht so mit Dir einfach nicht. Ich liebe Dich zu sehr, deshalb kann ich nicht von Dir lassen, aber Du bist einer der Steine, die mich ins Schleudern bringen.
Deine zarte Gegenwart nicht mehr zu spüren, wird schmerzen, die Einsamkeit noch zunehmen.
Vielleicht wird aber doch die Sehnsucht geringer.
Erst nach einer klaren Weguntersuchung kann ich verstehen, wo es mit mir hingeht. Und das muss ich alleine.
Als erstes muss ich wieder in Bewegung kommen.
Mein ganzes Leben lang ist die Geschwindigkeit zu hoch gewesen, und jetzt bin ich viel zu langsam.

Martin Mangold 14.12.1996 Berlin

Ein Zeitdokument

Das erste Mal seit langer Zeit, dass ich mich niedersetze um etwas zu schreiben. Heute ist der 18.2.1997, ein kalter, grauer, verregneter Tag, an dem der Wind die großen Tropfen durch graue berliner Straßen jagt.
Und ich habe einen neuen Gefährten kennengelernt. Meine Angst, ein anderer Teil von mir, den ich bisher nur im Vorbeigehen gelegentlich gestreift habe.
Jetzt erst fange ich an, wirklich alleine zu leben, auch in schlechten Zeiten. Alleine mit mir und diesen abgrundtiefen Anfällen, welche alles an und in mir bis in die Grundfeste erschüttern.
Gut, zu wissen, dass bald der Frühling wieder Einzug hält, mit wärmeren, freundlicheren und lebendigeren Tagen.
Die Natur wird wieder grün und der Himmel blau werden. Die Seele weit und fröhlich.
Und das nach einem fast endlos scheinenden, strengen Winter. Meinem bisher härtesten.

Martin Mangold 18.2.1997 Berlin

Auf Reisen

Seit Monaten nun vertraut mit dem Begleiter, der Angst.
Wohin ich auch gehe, plötzlich steht sie wieder neben mir. Und wenn ich dann nicht sehr vorsichtig bin, werde ich selbst zu ihr.
Die Erkenntnis, dass ich die, die ich am meisten geliebt habe, nie bekommen habe, wühlt mich auf.
Ich habe mich immer mit dem Zweitbesten zufriedengegeben, und um es nicht zu bemerken, mich in Arbeit gestürzt. Jetzt tue ich das, um mich vor der Angst zu schützen.
Schnell verändern sich Bilder, die so fest geglaubt, bis zur Unkenntlichkeit.
Und doch würde ich mich gerade jetzt wieder lieber mit dem Zweitbesten begnügen, als so einsam und leer zu sein. Aber etwas in mir kann es nicht, nicht mehr.
Seit nunmehr fast zwei Jahren geht es nun hinunter, vielleicht schon viel länger. Und ein Ziel, so wie früher einmal, ist nicht mehr in Sicht. Wahrscheinlich ist das das Ziel.

Martin Mangold 1.5.1997 ICE

Die zwei Ich

Das erste Mal im Verlaufe meines gesamten bisherigen Lebens, dass ich alleine glücklich war.
Und dann sie, aus heiterem Himmel.
Die beiden Ich haben sich erkannt und sich gefallen.
Und sie gefallen sich immer noch, und immer mehr.
Zwei, die beide schon sehr viel gelebt und erlebt haben, nicht nur Gutes.
Die jetzt genauer wissen, was sie wollen.
Die Freude aneinander haben, und sich das gemeinsame Leben verschönern wollen.
Ohne groß trari-trara, mit ganz einfachen Dingen.
Wie bescheiden man doch werden kann.
Von einem hohen Ross fällt es sich ziemlich tief, aber irgendwann kommt man letztendlich doch unten an.
Es fällt mir noch manchmal schwer, hier unten zu leben, aber langsam finde ich doch gefallen an den einfachen Dingen, denn die komplizierten hängen mir mitunter gelinde zum Hals heraus.
Doch, ich habe einen Partner gefunden, der mit mir zusammen leben will.

Martin Mangold 16.10.1997 Berlin

Und wieder

Ein neuer Anfang, neue Beweise, neue Kämpfe, aber immernoch dieselbe Spielregel. Was bisher gespielt und geübt sein wollte, wird jetzt zur Realität und Anforderung. Wundervolles Gefühl, einen Sinn zu haben, aber sicherlich keine dauerhafte Perspektive.
Das Zusammenleben mit einer Frau, mit meiner Frau kommt auf mich zu, und ich weiß noch nicht, wie das wohl wird. Sicherlich, es macht mir etwas Angst, aber ich wünsche mir jetzt auch diese Herausforderung, es ist an der Zeit. Damals habe ich zu lange damit gewartet. Heute ist es ein logischer Ablauf in einer neuen Stadt mit neuen Zielen.
Nicht so sehr das Warum spielt gerade eine Rolle, sondern viel mehr das Wie.
Ich habe mich zur Zeit damit abgefunden, daß vieles nicht den erhofften Sinn hat, und bewege mich deshalb nicht mehr so nahe am Abgrund. Außerdem habe ich gelernt, was es heißt, wirklich zu zweit zu sein. Und das ist viel.

Martin Mangold 20.08.1998 Bergmannstr.1 München

Zwischenbilanz

Fast drei Jahre sind vergangen seit der Zeit, die ich glaubte, nicht überleben zu können.
Was ist geschehen seither? Ich nehme keine Tabletten mehr, Psychoanalyse, Psychotherapeut, alles Vergangenheit.
Wonach ich mich sehne, ist die Zeit vor dem Zusammenbruch. Die jugendliche Begeisterung ist dahin, auch der Leichtsinn, auch die Untreue. Und einem geregelten Arbeitsleben gehe ich auch nach.
Mit Susanne lebe ich zusammen, was viele dunkle Stunden etwas heller macht.
Doch etwas von mir ist unwiderruflich verloren gegangen.
Mein Stolz, meine Ideen? Ich weiß es nicht.
Ich kann wieder ein normales Leben leben, werde nicht mehr täglich von der Angst gefressen, aber wirklich glücklich bin ich lange nicht gewesen.
Als ob vieles mit steigendem Alter und durchlebten Niederlagen an Intensität verlieren würde. Es wurden eben doch viele Träume durch die Realität begradigt.

Martin Mangold 28/8/1999 Marina

In der Sonne

Die Gedanken kreisen.
Alt bin ich geworden, Äußerlich. Ein erwachsener Mann, selbstsicher, erfolgreich und über 30.
Aber drinnen sieht es immer noch klein aus. Klein, ängstlich und jung. Einsam.
Ich werde diesen Wunsch wohl nie verlieren, geborgen und sicher umsorgt zu werden. Ohne Verantwortung. Und den Wunsch, nicht an das Morgen denken zu müssen. Das Rad dreht sich weiter, die Zeit läuft schneller, obwohl ich weniger davon habe.
Warum ist es so schwer, geliebt zu werden, und so selten? Und warum ist man so alleine, obwohl so viele Menschen um einen sind?
Die Liebe zu mir selbst werde ich wohl nie finden.

Martin Mangold 14/5/1 Wideystr.13 Witten

Die Macht des Guten

Schnell noch Einkaufen. Auto habe ich ja gerade von der Werkstatt geholt. Die Gurken nicht vergessen! Bezahlen, Auto volladen. Schnell nach Hause, alles ausladen. Milchprodukte in den Kühlschrank, Konserven in den Keller. Reis in die Kammer, Gemüse auf den Balkon. Fertig! Puhhh, was für ein Tag. Ach, die Quittungen noch einsortieren. Wo ist der Geldbeutel? Mein Gott, wo ist der Geldbeutel? Schnell zurück zum Supermarkt, alles abgesucht. Nichts. Zur Polizei, sofort alles gemeldet, dass der Geldbeutel wahrscheinlich auf dem Autodach lag. Ein sehr netter und beruhigender Polizist. Danke! Im Geldbeutel waren Personalausweis, Führerschein, drei EC-Karten, zwei Kreditkarten, Krankenkassenkarte und vieles mehr. Schlimmer geht’s nicht!!!! Was machen? Zuerst Karten sperren? Nein, noch mal an den Ort des Geschehens zurück und mit Ruhe suchen. Dort angekommen laufe ich die Straße suchend entlang-. Ein Auto hält plötzlich neben mir und ein freundlicher Mann hält meinen Personalausweis in der Hand und lächelt. Alles hat er von der Strasse aufgesammelt, was wohl zerfleddert dagelegen hatte. Nichts fehlt! Ich bin überwältigt. Erleichtert. Dankbar. Nötige den Mann, 50 Euro als Dankeschön anzunehmen, was er erst nach einigem Tun akzeptiert. Er wollt mir eigentlich gerade den Geldbeutel nach Hause bringen. Wow. Was für ein toller Mensch und was für ein toller Flecken Erde! Ich habe in allen Grosstädten Deutschlands gelebt und bin erst vor einem Jahr hierher zurück gekehrt. Nach Neckargemünd! Damals wusste ich nur intuitiv warum. Heute habe ich den Beweis:
Denn hier leben Menschen, die aufeinander achten und sich nicht vom ewigen Gestöhne über das Böse im Menschen von ihren guten Taten abbringen lassen….

Martin Mangold 19/6/9 Hermann-Walkerstr. 49

Verletzt

Zehn Jahre Kampf um Liebe, Leben, Beruf, Berufung. Schlimme Jahre, böse Krankheiten, Kampf um Arbeit, finanzieller Ruin, ein gestorbenes Kind, eine furchtbar verletzende Scheidung. Scherben, überall. Überlebt,
aus eigener Kraft. Durchlitten. Jedes Jahr immer weitere, neue Katastrophen.
Seit drei Jahren geht es ganz langsam wieder bergauf.
Eine neue Ehe. Ein geliebtes Kind.
Danke!
Aber jetzt, Menschen verletzt, schwer, ohne es zu wollen, Leid bei Anderen verursacht. Mich schuldig gemacht. Aus dem Nichts. Ein Unfall. Aus Zufall? Als Schicksal? Trotzdem, Leben geht nur im Hier und Jetzt, auch das Meine. Gestern ist vorbei und ich kann es nicht mehr ändern, selbst, wenn ich wollte, so sehr wünschte, mich dafür entschuldigt habe. Kein Zurückdrehen möglich, kann nicht ungeschehen gemacht werden. Vielleicht heißt Leben immer verletzt werden und verletzen. Aber sicher heißt es auch lieben und geliebt werden. Und das hält mich aufrecht, solange ich lebe.

Martin Mangold 16/12/13 ICE

Erstickt

Schwarze Nacht. Der Schnee in Neckargemünd schickt fahles, blaues Licht zu den beiden Rundbogenfenstern hinein. Aufgewacht. Etwas ist anders in dem hohen Zimmer. Papa und Mama schlafen tief. Also bei mir anders. Ganz anders. Ich will doch einfach weiter schlafen. Kann aber nicht. Kriege keine Luft mehr. Panik schießt heiß durch meinen Körper. Stehe alleine in meinem Schlafanzügchen im eiskalten Raum, die Füße nackt. Was von meinem Atem übrig ist, sehe ich als blauen Dampf vor mir kräuseln. Die Eltern wachen auf, verstehen nicht. Meine Lungen wollen sich nicht mehr füllen, so sehr ich es auch versuche. Pfeifender Atem. Ich werde blau.

Jetzt verstehen Papa und Mama. Er nimmt mich auf den Arm und rennt los, im gestreiften Schlafanzug. Ich nehme alles ganz klar wahr, scharfgezeichnet. Im hellblauen VW Käfer hat mich Mama auf dem Arm, auf dem Rücksitz, ich habe den schwarzen Knopf vom Ausstellfenster direkt im Blick. Räder knirschen auf dem Kies, eiskalter Fahrtwind bei offenem Fenster, das Näseln des Käfermotors, Todesangst, Panik, rote Ampeln und gelbe Lichter fliegen vorbei. Ich will noch einmal atmen. Es geht nicht mehr. Ein Block in der Brust. Meine Fingerchen halten sich blau zusammengekrampft an Mamas Morgenmantel fest. Alles wird langsam schwarz, brennen in den Lungen.

Laute Schläge wecken mich, Dämmerzustand. Mama hämmert an die verschlossene Glastür der Uniklinik Heidelberg. Keiner da morgens um drei. Obwohl ich erst zwei bin, jetzt bin ich erwachsen. Mit meiner Angst, meinem nahen Tod bin ich eins. Wieder Schwarz. Nach langem Dunkel mache ich die Augen auf. Mein Bettchen umhüllt von einem blitzenden Stahlkäfig, kein Entrinnen. Mein pfeifender Atem. Niemand, der mich hält, nur mein kleiner, kranker Körper und ich. Ein gerippter Schlauch verteilt blaugrauen Nebel, wie eine Schlange. Ganz alleine auf dieser kalten Welt, kann nicht fort, die Lungen immer noch ganz eng. Gerade noch am Leben. Bloß nicht mehr atmen, sonst geht sie aus, meine kleine Flamme. Vor der Milchglastür ein Schatten, ein Umriss. Mama steht verschwommen davor und weint. Besuchszeit zu Ende.

Besuche ich noch einmal jemanden oder werde besucht? Die Luft bleit wieder weg. Die Angst auch. Hat sowieso keinen Sinn mehr, Angst zu haben. Der Atem wird flacher. Schwarz. Zwischen meinem zweiten und vierten Lebensjahr hat mich der Pseudo-Krupp dreimal fast besiegt. Aber nur fast.

Martin Mangold 20/3/14 ICE

Im Schwimmbad

Heißer Hochsommertag, unser Freibad in Neckargemünd am Neckar vibriert unter dem fröhlichen Gekreische der Heerscharen von Kindern. Meine Geschwister Dietrich und Christiane schwimmen schon, im Olympiabecken. Mama sitzt auf dem an einigen Stellen verschlissenen, orangenen Badetuch und liest. Warme Sonne auf der Haut, es riecht nach Sonnenöl. Die Kirchtürme auf der anderen Seite des Flusses blitzen. Und ich spaziere neugierig und stolz mit meinem neuen rot-weißen Schwimmring um den Bauch auf dem Rasen umher. Wespen umtanzen die hellblauen Müllsäcke, eingehängt in Stahlreifen mit Deckel, randvoll mit Resten von Eis, Bonbons und Getränken.

Der 10-Meter-Sprungturm und das tiefe Becken davor locken mich. Hier sind die Großen, hier ist das wahre Leben. Von ganz oben kommen sie gesprungen und schießen ins türkis-blaue Wasser, weißen Gischt hinter sich lassend. Springen und schwimmen kann ich noch nicht, aber im Becken treiben will ich auch. Schwimmring fest halten, ein Sprung über die gekachelte Kante.

Mit Schwung gleite ich immer tiefer, mein Schwimmring tanzt hoch über mir, in einen blau gefliesten Kubus. Große Luftblasen steigen weiß-silbern auf, meandern. Hier endet die Edelstahlleiter und ich taumle dem Beckenboden entgegen, wie ein leichter Stein. Jetzt reicht die Luft nicht mehr aus, ich öffne den Mund und ein Strudel bildet sich in mir, ein wilder Knäuel reißt in alle Richtungen. Mit einem Schlag, nach schlimmen Sekunden auf dem Beckenboden, ist es schwarz.

Streifen in den Augen, grelles Sonnenlicht, ein bunter Langnese-Schirm, viele Menschen um mich herum. Aus meinem Mund sprudelt noch einmal eine Fontäne Wasser, wie bei einem kleinen Springbrunnen, präzise geformt, wie ein kleines Würstchen. Der große, dunkelhaarige Mann hält mich noch fest im Arm, während der Husten mich schüttelt. Ein Anhänger am Lederbändel leuchtet in seiner Brustbehaarung. Mit viel Glück habe ich überlebt, weil er auf mich aufgepasst hat. So will ich das auch einmal machen in meinem Leben, wenn jemand in Not ist.

Da hinten kommen Mama und meine Geschwister gelaufen. Als sie mich in der Menschentraube entdecken, rennen sie los.

Martin Mangold 20/3/14 ICE

Am Arno

Dein Strom trägt mein Herz
Verloren in Dir
Fort von hier
Untergangen im abendlichen Dunst des unabänderlichen
Von nun ab immer fremd und doch so nah
Zerbrochen, zermahlen im Fluss der Zeit

Martin Mangold Pisa, 23.9.5

Die Geldbörse

Gestern noch neu, ein Geschenk meiner ersten Frau. Mit stolzgeschwellter Brust habe ich hier meine erste American Express Goldcard aufbewahrt. Neben Ausweis, Führerschein und Sozialversicherungsnachweis. Gestern war vor 15 Jahren, die Börse wie ich glatt und unverbraucht. Stolz strahlend im Wissen um den Beginn.

Nun kommt sie nur noch mit, wenn ich Zug fahre oder zum Zahnarzt gehe. Die Zweitbörse. So wie ich der Zweitmartin. Das Jetzt und der Glanz des Momentes zu Gebrauchsspuren des eigenen Seins verrieben. Doch manchmal blitzt sie noch auf, diese jugendliche Lebensberauschung, wenn ich mich erinnere, wie es war, als ich die Welt eroberte. Heute liegt neben der verschlissenen Zweitbörse der Schlüssel meines steinalten Rolls Royce. Eine neuere Eroberung, schon gekennzeichnet von den letzten Strahlen der Abendsonne, aber doch noch ein Lichtpunkt auf meinem Lebensweg.

Martin Mangold 19/2/17 ICE

Nachmittag

Der Weimeraner schon ausgesucht. Und die Überzeugung da, keine weitere Frau in mein Leben zu lassen. Einsam und selbstmitleidig zurückgezogen auf dem Familienschlösschen.

Sie schreibt, rührt alte Gefühle wach, ich lade sie ein. Mit einem Supersportler rollt sie in den Hof. Zierlich, mit langem Zopf. Und wickelt mich um den Finger, wie es sonst die Vorgehensweise der Männer ist. Noch einmal flammt Liebe auf, jugendliche Leichtigkeit, dass doch noch alles gut werden könnte. Wir haben einen phantastischen Sohn, ein Geschenk des Himmels. Der Augapfel von Großpapa, der Verbinder mehrerer Generationen. Und meine Frau und ich geleiten ihn gemeinsam in die große Welt hinaus.

Doch es steht geschrieben: “It´s never as good as the first time.” Der Lack ist ab. Viel Zusammenreißen und Zusammenrauffen, um zu bewahren und weiter zu entwickeln. Nicht so erträumt. Die Alternative Einsamkeit. Und zum Schluss ist beides Realität. So viel härter, als einst geglaubt. Seltene Momente der Einigkeit erkämpft zwischen gleich Starken, die unterschiedliche Sprachen sprechen.

Martin Mangold, ICE 19/2/17

Todkrank

Eine unterirdische, tränenreiche Woche wird hoffentlich alsbald eine glückliche Wendung nehmen. Blitze umzucken heute das bleiche Marmorbild und der heiße Wind peitscht weiße Schaumkronen auf die schwarzen Wasser des Schlossteiches. Abgerissene Äste der großen Trauerweide treiben dazwischen wie übles Gewürm, zum Töten bereit. Die Gestirne sind aus den Fugen und mein Schikcksalsschiff krängt angeschlagen, fast niedergedrückt vom Wind des Seins.

Martin Mangold, Dachau 21.8.17